Kämpfen und Sterben für das Vaterland (2)

Podcast
Kein Kommentar
Audio-Player
  • 13_06_2025_Sterben_für_Vaterland_2
    24:33

Kämpfen und Sterben für das Vaterland (2)

Will nochmal auf den letzten Beitrag zum Buch von Ole Nymoen „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ zurückkommen, und – zugegeben etwas unstrukturiert und bruchstückhaft – ein paar seiner Hinweise unterstreichen, und ein paar Schwachpunkte aufspießen:

„‘Kriegstüchtig’ – bei dieser Vokabel kann es einem klar denkenden Menschen eigentlich nur kalt den Rücken runterlaufen. Zwar kennen die meisten Deutschen den Krieg nicht mehr aus erster Hand, aber zumindest aus Erzählungen der älteren Generationen wissen sie sehr genau, was damit einhergeht. Nämlich nicht Heldentum und Abenteuer, sondern Zerstörung, Hunger, Entbehrungen – sowie die größte denkbare Entwertung des menschlichen Lebens.“
(Ole Nymoen, Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde: Gegen die Kriegstüchtigkeit
Rowohlt 2025)

Nymoen hat bemerkt, dass die politische Forderung nach Kriegstüchtigkeit beim Publikum eben nicht die Reaktion auslöst, die er jedem „klar denkenden Menschen“ als „eigentlich“ selbstverständlich nahelegen will – nämlich eine klare, kompromisslose Ablehnung aus Gründen persönlicher Nachteile. An der mangelnden Kenntnis dessen, was Krieg bedeutet, kann es nicht liegen, dazu braucht es auch keine persönlichen Erfahrungen, dafür genügt die laufende Berichterstattung: Nicht Heldentum und Abenteuer, sondern Zerstörung, Hunger, Entbehrungen – sowie die größte denkbare Entwertung des menschlichen Lebens“. Das ist allgemein bekannt, und Nymoen stellt sich nun die Aufgabe, der hoffentlich in Bälde klarer denkenden Menschheit auf die Sprünge zu helfen. Sein Projekt:

In diesem Buch will ich meine Haltung zu Krieg und Staatlichkeit daher genauer ausführen – in der Hoffnung, andere davon zu überzeugen, sich nicht mit Staaten, sondern mit den von Krieg und Gewalt betroffenen Menschen auf allen Seiten der globalen Fronten gemeinzumachen.“ (ebd.)

Das Dilemma dieser seiner Aufgabenstellung liegt darin, dass sich offenbar kaum jemand erst aus Anlass der Forderung nach „Kriegstüchtigkeit“ – endlich und unbefangen! – die sehr prinzipielle Frage stellt, mit wem möchte man sich denn nun angesichts dieser neuen Lage gemein machen? Mit „Staaten“ (Plural) oder mit den „von Krieg und Gewalt betroffenen Menschen auf allen Seiten“, deren Stellung zu den besagten Staaten ihm allerdings schon bekannt ist. Denn Nymoen erinnert sich daran, dass ein großer Teil der Leserinnen und Leser sich längst gemein gemacht hat, nämlich ausgerechnet mit „deren“ jeweiligen Staaten. Der Autor startet nun ein Ausweichmanöver und spielt den Kriegsfall durch, aber sehr speziell:

Das wollen wir einmal anhand zweier fiktiver Kriegsparteien durchexerzieren, die wir ‘Staat X’ und ‘Staat Y’ nennen. Für die Argumentationslogik ist diese Abstraktion unausweichlich. Denn es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der Leserinnen und Leser gewisse Sympathien und Parteilichkeiten für bestimmte Staaten oder politische Führungspersönlichkeiten hegt. Ob man es eher mit dem Westen oder dem Osten hält; ob man ein sicherheitspolitischer ‘Falke’ ist oder für ‘Entspannung’ eintritt, soll an dieser Stelle aber keine Rolle spielen.“ (ebd.)

Das Publikum hat sich also längst gemein gemacht, es hegt Sympathien für „bestimmte(?) Staaten“, es ist parteilich, hält es möglicherweise mit einer Himmelsrichtung – gemeint ist ein Staatenblock, der in Kriegsangelegenheiten als Kollektivsubjekt unter eindeutiger Führung agiert oder agiert hat. Und ausgerechnet diese dem Krieg und der Kriegstüchtigkeit vorausgehende Parteilichkeit, die soll „an dieser Stelle keine Rolle spielen“? Gegen den Krieg argumentieren – aber unter Ausklammerung des Patriotismus der „Leserinnen und Leser“? Es sei gleich an dieser Stelle behauptet, dass genau wegen dieses elementaren Patriotismus eben nicht ein Ruck der Besinnung durch die Bevölkerung geht, mit Schockwirkung – allen müsste es doch „kalt den Rücken runterlaufen“! –, worauf sich das Publikum die Frage stellen müsste, was das für jeden ganz persönlich bedeutet, worauf jeder das Ansinnen mit Verweigerung quittieren müsste …

Stattdessen ist zu registrieren, dass der längst laufende und gar nicht fiktive Krieg, wie auch die daraus folgende Forderung nach „Kriegstüchtigkeit“ samt eventueller Wehrpflicht etwa so diskutiert wird wie die Sicherheit der Renten oder die desolate Infrastruktur, nämlich aus dem Geist der Verantwortung – nicht für anonyme „Staaten“ schlechthin, sondern – für das nationale Gemeinwesen, entlang der üblichen Frage „was bedeutet das alles für uns“: „Es“ bedeutet bekanntlich mittlerweile eine zweite „Zeitenwende“, nach dem zumindest angekündigten reduzierten Engagement der USA im gar nicht fiktiven Ukraine-Krieg. Nymoen unterstreicht sein Ausweichmanöver, an der Stelle also sein Desinteresse für Kriegshetze und Feindbild, indem er dergleichen auch mal zur bloß subjektiven Verirrung herabsetzt:

Zwar mag es sein, dass die Soldaten den Krieg aufgrund nationalistisch-chauvinistischer Vorurteile über die andere Seite für gerechtfertigt halten. Diese subjektive Motivation spielt jedoch keine Rolle: Krieg beginnt dann, wenn er befohlen wird, und er unterbleibt, wenn er nicht befohlen wird.“ (ebd.)

Tut leid, aber nationale Feindschaftserklärungen, die üblichen üppigen Erläuterungen der grundlosen Bösigkeit des Gegners – „verbrecherischer völkerrechtswidriger Angriffskrieg“! –, das sind keine überschießenden „Vorurteile“, die von den Wehrpflichtigen bloß mitgenommen werden. So geht die geistige Mobilmachung als Voraussetzung der Einberufung; und auch wenn der Krieg nicht auf dringenden Wunsch einer kriegsgeilen Bevölkerung begonnen bzw. geführt wird; ohne diese Aufrüstung des Gemüts ist er nicht zu haben: Von wegen, die „subjektive Motivation“ spiele keine Rolle – sie entscheidet nicht über Krieg bzw. Kriegsbeginn und -ende, aber ohne eine solche ist das glatte Mitmachen auch nicht zu haben. Also folgende Beobachtung: Nicht nur die Kriegsgründe und die Aufrüstung für den Krieg sind staatliche Leistungen mitten im Frieden, auch die Kriegsbereitschaft des Menschenmaterials wird im Frieden produziert; wer bis zum Krieg alles mitmacht, macht auch im Krieg alles mit, das lehrt zumindest die Erfahrung. Anders gesagt, Nymoen will die durchaus positiven, speziell deutschen Kriegsgründe gar nicht thematisieren, lässt damit die Sprachregelung vom eigenen Zwang zur bloßen Verteidigung erst einmal stehen, und will diesen später blamieren – indem auch dabei alles kaputtgeht, was angeblich verteidigt werden soll.

Das alles ist nicht sehr relevant, das alles verblasst vor der moralischen Wunderwaffe, die Nymoen in Anschlag bringt:

Der homo sapiens, der eigentlich ein verständiger Mensch sein sollte, wird zum Ding, zum bloßen Werkzeug der Machthaber; alle Vernunft wird dem Gehorsam unterworfen. Diese intellektuelle Entmenschlichung ist Voraussetzung der moralischen: Denn nachdem der Verstand und die Entscheidungsfreiheit dem Befehl untergeordnet wurden, gilt es zu töten. Was im zivilen Leben als schlimmstes denkbares Verbrechen gilt, wird nun zur Alltagshandlung. Der Mensch wird vom vernünftigen und moralischen Wesen in ein Tötungswerkzeug verwandelt – und das vom Staat, der von so vielen Denkern als Voraussetzung von Vernunft und Freiheit angesehen wurde!“ (ebd.)

Was im zivilen Leben als schlimmstes denkbares Verbrechen gilt, wird nun zur Alltagshandlung.“ In der Tat, aber der abgrundtiefe Gegensatz, den Nymoen hier ortet, löst sich schon dahingehend auf, dass es sich beim zivilen Leben ebenso wie beim Krieg um staatliche Setzungen handelt, alle Vernunft wird schließlich nicht erst im Krieg dem Gehorsam unterworfen und der homo sapiens ist schon im Frieden das Werkzeug der Machthaber; diese schlechte Gewohnheit trainieren die eigentlich verständigen Menschen jeden Tag, auch indem sie sich geistig mit den aktuellen Drangsalen der Nation wegen ausländischer Hindernisse vertraut machen (lassen). Sowohl Intellekt als auch Moral funktionieren übrigens bestens im Zustand der „Entmenschlichung“, weil doch gegen „das Böse“ schlechthin angetreten werden muss, das „uns“ womöglich die „Vernunft und Freiheit“ wegnehmen will, welche zwar schlecht, aber letztlich doch von „unseren“ Regierenden besachwaltet werden, weswegen „wir“ solche auch unbedingt brauchen:

Hier sehen wir also, wer oder vielmehr was in diesem Krieg tatsächlich verteidigt wird. Es sind nicht die Kämpfenden und auch nicht die Zivilisten. Es ist die bestehende staatliche Herrschaft. Der Schutz, den der Staat Y seinen Bürgern bietet, ist keineswegs einer vor Gewalt schlechthin. Es ist der Schutz vor Fremdherrschaft: Weil unser Staatschef Y seine Herrschaft als Lebensbedingung des eigenen Volkes betrachtet, nimmt er sich das Recht heraus, seine Untertanen als Werkzeug gegen den militärischen Feind zu gebrauchen. Die Zumutung, die das für die kämpfenden Bürger bedeutet, fasst der bereits zitierte Gerhard Henke-Bockschatz wie folgt zusammen: ‘Von den Bürgern wird im Kriegsfall praktisch der Beweis verlangt, dass ihnen «ihr» Staat wirklich als unbedingte Voraussetzung ihres Lebens gilt, sie ihn auf jeden Fall erhalten wollen und dafür auch ihr Leben hinzugeben bereit sind.’“ (ebd.)

Was ist, wenn es stimmt? Wenn die Herrschaft wirklich die Lebensbedingung des Volkes ist, weil die Herrschaft flächendeckend und umfassend dafür sorgt, dass das Volk diesen seinen herrschaftlich gesetzten Lebensbedingungen nicht auskommt? Nymoen insinuiert, dass Herrschaft unmöglich diese Lebensbedingung sein kann, oder dass es sich zumindest um eine offene Frage handelt, weil sich die Geschichte mit der Lebensbedingung spätestens dann erledigt, wenn die Bürger-Untertanen von der Herrschaft für die Herrschaft verheizt werden. Die Frage, um welche Lebensbedingungen es sich da handelt, und wie sich die Bürger im Frieden darauf beziehen (müssen), die wäre hier wohl wieder mal angesagt; Nymoen hält das vermutlich für nicht zwingend, indem die Zustimmung der Bürger von ihren je speziellen Lebensbedingungen offensichtlich gerade nicht abhängt – und auch da hat er was getroffen, weil sich die Vaterlandsliebe doch eindeutig positioniert:

Den Ort der eigenen Herkunft (und die damit einhergehende Lebensweise) hat man sich schließlich nicht selbst ausgesucht, und wahrscheinlich wäre man andernorts mit anderen Sitten ebenso glücklich geworden. … Einen solchen Pragmatismus lässt aber kein Staat seinem Volk durchgehen. Moderne Bürger sollen nicht nur ihre zufällige Heimat und deren Bräuche schätzen, wie es bei Brecht anklingt. Darüber hinaus sollen sie diese mit dem Vaterland identifizieren.“ (ebd.)

Klar, das ist schon irre! Ausgesucht hat sich der Bürger „seine“ Lebensweise nicht, von Migranten einmal abgesehen, die von echten Patrioten gerade deswegen schief angeschaut werden. Aber international üblich ist – offenbar! – die verinnerlichte Identifizierung mit der zufälligen Heimat; übrigens durchaus unabhängig von der demokratischen Staatsform; da mögen sich die Demokraten bloß nichts auf „ihre“ „Lebensweise“ einbilden. Das wirft aber nichtsdestotrotz erst recht die Frage auf, wie denn die im Frieden vordergründig vernünftig und moralisch wirkenden Wesen ihre Weiterentwicklung zu Tötungswerkzeugen hinkriegen.

Soweit mal für heute: Um Antwort wird gebeten. Aus aktuellem Anlass eine patriotische Aufwallung der anspruchsvolleren Sorte:

*

Wissen, das die Welt nicht braucht, diesmal:
Warum keine Raketen auf Kärnten?

Seit eine/r „von uns“ einen Sängerkrieg in der Schweiz gewonnen hat, der/die dann, ein wenig verbildet durch die demokratische Öffentlichkeit und deren Faible für „Sanktionen“, solche auch gegen Israel gefordert hat, worauf diese schöne Vereinnahmung von JJ sofort relativiert werden musste, seither hat die politische Diskussion enorm an Niveau zugelegt. In der „Zeit im Bild“ entwirft Ariel Muzicant eine wahrhaft verwegene, gehirnakrobatisch zu nennende „Kontextualisierung“, um Österreich den israelischen Vernichtungsverteidigungskrieg zu empfehlen – im Konjunktiv:

„ … ein drastisches Beispiel: ‘Was würde Österreich sagen, wenn, sagen wir, die Slowenen, und das ist jetzt nur ein Beispiel, das sicherlich nicht zutrifft, aber wenn die Slowenen sieben Raketen jeden Tag auf Kärnten abschießen würden? Würde dann auch die ganze Welt sagen, dass die Österreicher sich nicht verteidigen dürfen? Es muss ein Ende sein mit dem Terror der Hamas.’ Die israelische Regierung versuche, das Terrorregime der Hamas endgültig zu beenden. Die Hamas halte zwei Millionen Palästinenser als Geiseln. Sie würden als Schutzschilde missbraucht. Solange der Terror und der Beschuss nicht aufhören, so lange werde sich Israel verteidigen.“
(Der Standard 20.5.2025, https://www.derstandard.at/story/3000000270594/muzicant-in-der-zib-2-was-wuerde-oesterreich-sagen-wenn-slowenien-kaernten-beschiesst)

Das wirft natürlich eine Frage auf: Was ist bloß mit den Slowenen los? Was stimmt nicht mit „den Slowenen“, wenn die NICHT „sieben Raketen jeden Tag auf Kärnten abschießen“, damit auch Österreich endlich den israelischen Vernichtungsverteidigungskrieg richtig gut finden müsste? Gehen wir es an, denn nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich:

Zwischen Österreich und Slowenien herrscht KEINE negative Übereinstimmung darüber, wonach friedliche Koexistenz unmöglich und daher eine jeweilige „eigene“ staatliche Existenz nur durch die Zerstörung jeder Macht der anderen Seite zu haben ist. In Slowenien wohnen auch NICHT ca. zwei Millionen Leute, die bzw. deren Eltern und Großeltern durch österreichischen Terror und Vertreibung in einem großen Ghetto gelandet sind, dessen Grenzen Österreich nach Belieben kontrolliert und abriegelt; in einem Gebilde OHNE nennenswerte eigene Ökonomie, weswegen die Leute ohne Spenden durch Hilfsorganisationen von außen nicht existieren können. Diese Slowenen hausen NICHT de facto unter österreichischer Herrschaft, aber ohne Bürgerrechte. Österreich setzt die Leute NICHT einer organisierten Hungersnot („Unterversorgung“) als Druckmittel aus, es betreibt NICHT in einem anderen Teil Sloweniens eine militante Landnahme – einen „großen Austausch“ bzw. eine „Umvolkung“ –, durch Terror und Vertreibung der ansässigen Bevölkerung; das sowohl offiziell durch die Regierung als auch durch die – rein juristisch: die kriminellen – Aktionen einer Siedlerbewegung, die geduldet, gefördert und nachträglich legalisiert werden. Österreich bestreitet NICHT einem slowenischen Staat die Existenzberechtigung und führt NICHT seit Jahrzehnten einige Kriege gegen alle diesbezüglichen Bestrebungen. Österreich hat ironischerweise und als „kriegsgeiler Kiebitz“ umgekehrt diplomatisch an der Zerstörung Jugoslawiens und der Gründung der Nachfolgestaaten mitgewirkt, aber das ist eine andere Geschichte. Die damalige Begründung für den damaligen unterstützten slowenischen Separatismus war übrigens Unterdrückung durch Fremdherrschaft. – Mit einem Wort: Seltsame Leute, diese Slowenen.

Diese „Kontextualisierung“ gehört sich natürlich nicht, weil sich nur eine Kontextualisierung gehört, nämlich die Erinnerung an das Massaker der Hamas im Oktober vor zwei Jahren: Diese Kontextualisierung wird bekanntlich als eine Art Eintrittskarte verlangt, weil die Erinnerung an diese Gräueltaten alle israelischen Gräueltaten ins Recht setzen soll, eine Kritik daran also von vornherein diskreditiert ist; wenn es sein muss, auch durch intellektuell eher schräge Versuche, ausgerechnet Slowenien da hereinzuziehen … Dass die Pro-Völkermord-Fraktion mittlerweile ein Teil der demokratisch gewählten Regierung Israels ist – weil ein Völkermord unter Umständen zum folgerichtigen Plan B wird, wenn die ethnische Säuberung durch Vertreibung nicht klappt, welche wiederum mittlerweile offiziell Ziel der israelischen Politik ist – das kommentiert Muzicant so:

Er sei alles andere als ein Anhänger der Regierung Netanjahu, betonte Muzicant. Die Idee, den Gazastreifen zu besetzen und zu besiedeln, komme von ein paar ‘Hitzköpfen und Extremisten’ in der israelischen Regierung. Das sei nicht umsetzbar. Die Kritik an der Regierung sei ‘durchaus berechtigt’, aber: ‘Wogegen ich mich ausspreche, ist, dass jemand in die Öffentlichkeit geht und sagt: Die Juden sind am Antisemitismus selbst schuld.’ Das sei ‘unerträglich’, und das werde sich das jüdische Volk nicht mehr gefallen lassen. ‘Die Juden wehren sich, und das vertragen einige Herrschaften nicht’, so Muzicant.“ (ebd.)

Was soll dieses Gerede von Hitzköpfen und Extremisten – ist das billige „Schuldabwehr“ oder gleich „Verdrängung“? Die israelische Politik ist gar nicht die israelische Politik? Die beabsichtigte und betriebene ethnische Säuberung ist eh’ nicht „umsetzbar“ – also Kritik daran gegenstandslos und von böswilligem Antisemitismus getrieben? Jede „berechtigte Kritik“ an der israelischen „Selbstverteidigung“ hat er doch gerade mit seinem verwegenen Kärnten-Vergleich zurückweisen wollen: ‘Die Juden wehren sich, und das vertragen einige Herrschaften nicht’.

„Die Juden“ wehren sich so: Die zionistische Bewegung hatte es seit der 2. Hälfte des 19. Jhd. mit dem aufkommenden politischen Antisemitismus der europäischen Nationalstaaten und deren Bedürfnis nach einem homogenen deutschen, französischen etc. Staatsvolk – vulgo: Herrenvolk – zu tun. Auf die nationalstaatlich folgerichtige Diskriminierung, den Terror und den Völkermord an den Juden hat sie mit dem Bedürfnis nach einem jüdischen Nationalstaat geantwortet. Also mit dem Bedürfnis nach einer politischen Gewalt, die auf einem jüdischen Staatsvolk beruht, und die deswegen zu all den Leistungen gegenüber Volksfremden fähig ist, die Juden seinerzeit erlitten haben. Das palästinensische Volk, das ein Produkt der Gewalt ist, das eine Schicksalsgemeinschaft durch die Koproduktion der israelischen und der jordanischen und der libanesischen und der syrischen Gewalt ist, dieses Volk hat längst den analogen Lernprozess nach zionistischem staatsbildenden Vorbild hinter sich, allerdings ohne vergleichbaren Erfolg. Bin durch einen Beitrag von Ruth Beckermann im „Standard“ an ein altes Gedicht von Erich Fried aus dem Jahr 1967 erinnert worden; die ersten beiden Strophen lauten:

Als wir verfolgt wurden,
war ich einer von euch.
Wie kann ich das bleiben,
wenn ihr Verfolger werdet?

Eure Sehnsucht war,
wie die anderen Völker zu werden
die euch mordeten.
Nun seid ihr geworden wie sie.

(https://www.derstandard.at/story/3000000271150/gazakrieg-wenn-der-hass-zu-gross-ist)

Schreibe einen Kommentar